Freigericht - Konservierender vs. funktionaler Naturschutz

Das Thema Windenergie wird energisch und emotional diskutiert, in Freigericht und anderswo. Befürworter und Gegner scheinen sich unversöhnlich gegenüberzustehen und die Argumente für oder gegen Windenergie auf ihrer Seite zu haben. Um eines vorweg klarzumachen: Ich habe mich immer für die Nutzung von Windenergie in Freigericht ausgesprochen, solange die gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen dies ermöglichen. Ein kategorisches, zumal ungeprüftes ‘Nein’ zum Standort Wald halte ich für verfehlt.

Ich möchte allerdings einen Versuch unternehmen, zu erklären, warum die Argumentationen der Gegner als auch der Befürworter kohärent und jeweils logisch sind, als auch warum ich der Meinung bin, dass die Befürworter letztlich die bessere Argumentation auf ihrer Seite haben. Beide Seiten, Befürworter wie Gegner, sprechen sich für Naturschutz aus. Aber wie kann das sein, muss nicht eine Seite falsch liegen? Nein, denn beide Seiten interpretieren den Begriff anders und verfolgen einen unterschiedlichen Ansatz. Die Gegner verfolgen das Ziel eines konservierenden Naturschutzes, die Befürworter das Ziel eines funktionalen Naturschutzes. Diese Betrachtung macht einen großen Unterschied, da sich die Ansätze in der Praxis fundamental unterscheiden.

Dabei gilt das ältere Modell des konservierenden Naturschutzes nicht unbedingt als überholt, aber insbesondere in Ballungsräumen ist er faktisch kaum umsetzbar. Wir kennen das Prinzip von den großen Nationalparks der USA. Vereinfacht gesagt, meint konservierender Naturschutz, dass ein Gebiet komplett sich selbst überlassen wird, vollkommen ohne menschliche Eingriffe. Was gut klingt, hat einen gravierenden Nachteil, er benötigt hinreichend viel Fläche, um seine Wirkung entfalten zu können. Soll das Konzept gelingen, hieße das mindestens für den gesamten Freigerichter Wald in letzter Konsequenz: keine Holznutzung, kein Spazieren, kein Wandern, kein Mountainbiken und auch keine Windenergieanlagen. Ist es realistisch, dass wir uns selbst mit allen unseren Aktivitäten aus dem Freigerichter Wald aussperren? Wohl kaum!

Deshalb lohnt der Blick auf den funktionalen Naturschutz. Hier stehen die Ökosystemdienstleistungen mit ihren Funktionen im Vordergrund. Ein funktionaler Naturschutz bezieht die Nutzung der Landschaft, hier des Waldes, explizit mit ein. Zudem werden Eingriffe wie Rodung zur Holzwirtschaft, Tourismus und Windenergie explizit zugelassen, solange sie an anderer Stelle funktional kompensiert werden. Da die Landoberfläche endlich ist, muss ein funktionaler Naturschutz ständig Verdrängungen gegeneinander abwägen. Oftmals dadurch, dass hoch homogene Flächen an gleicher Stelle strukturreicher gestaltet werden, z. B. eine Ackerbrache zum Biotop entwickelt wird. Zugegeben ein Drahtseilakt. Dennoch halte ich den funktionalen Naturschutz im Ballungsraum für zielführender, da er den Menschen mit all seinen Bedürfnissen mit einbezieht, statt auszusperren. Weiterer Vorteil: Erfolg und Misserfolg lassen sich gut messen, z. B. anhand der Artenvielfalt oder des Holzertrages. Zudem schützt ein funktionaler Naturschutz, der Windenergieanlagen in Freigericht zulässt, die Natur an anderen Stellen der Erde, sei es im Braunkohlerevier, im letzten europäischen Urwald in Polen oder im Regenwald in Borneo. Funktionaler Naturschutz denkt in Systemen und Funktionen und akzeptiert, dass wir die Landschaft nutzen müssen.

Dies alles soll kein Freibrief für mögliche Betreiber sein. Allerdings halte ich die Erklärung der fundamentalen Unterschiede beider Lager für Ihre Entscheidung beim Bürgerentscheid für wichtig. Handeln Sie daher klug und gehen Sie wählen!


Leserbrief zum Thema „Windkraftgegner“ von Sascha Heising (Freigericht), 26.05.2022

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